Der fremde Nachbar

Die Festivals September - Dezember 2015
01.09.2015

Wunder der Prärie

„Fremdsein“ ist das Motto der diesjährigen Ausgabe von „Wunder der Prärie“. Erstmals setzen die Festivalmacher dabei auf einen Länderschwerpunkt. Viele der eingeladenen Performance- und Live-Art-Künstler kommen aus Österreich und zeigen auf philosophische, performative und spielerische Weise, wie fremd das scheinbar Naheliegende sein kann.

Sie fadisieren, wenn sie sich langweilen, und rasten sich bei Ermüdung aus. Österreicher sprechen zwar Deutsch, aber mit einem speziellen Wortschatz. Manchmal kommen sie uns wie Landsleute vor, doch dann merken wir schnell, dass sie irgendwie doch anders ticken: Sie haben Schmäh, gehen zum Heurigen und lassen die Goaßl (Peitschen) beim Volkstanz schnalzen. Für Festivalkuratorin Gabriele Oßwald eignet sich die Alpenrepublik gerade wegen dieses Gegensatzes als Partner für das Thema „Fremdsein“. Denn oft ist es das Naheliegende, in dem das Unbekannte schlummert.

Exotisch wirkt in diesem Sinne sicher die Performance „Sons of Sissy“ von Simon Mayer und seiner vierköpfigen Gruppe. Das Driften zwischen gegensätzlichen Welten ist nicht nur der zentrale Gedanke von Mayers Kunst, sondern auch Teil seiner Biografie. Der Österreicher ist auf einem Bauernhof aufgewachsen und hat danach am Wiener Staatsopernballett studiert. Er ist ausgebildeter Balletttänzer, aber auch Performer, Sänger, Gitarrist und Songwriter. In seinen Projekten bezieht sich Mayer auf seine Herkunft, bringt das Schuhplatteln – ein von Auerhähnen inspirierter Balztanz – auf die Performance-Bühne, improvisiert Gstanzl oder demonstriert die Salzburger Paschen, eine traditionelle Form des Klatschens. So jetzt auch in „Sons of Sissy“, dessen deutsche Erstaufführung er bei „Wunder der Prärie“ präsentiert. Als Satire versteht Mayer seinen Ansatz nicht. „Wir wollen uns nicht über traditionelle Bräuche lustig machen“, versichert er. „Wir vermischen und verdrehen sie, zeigen sie in einem anderen Kontext und konfrontieren sie mit dem Gegenteil.“

Eigens für das Festival konzipiert Otmar Wagner die Essay-Performance „Zaster & Zombies oder: Geld. Eine Trance“. Der in Wien lebende Künstler und Utopieforscher arbeitet multimedial und löst wie in seinem Stück „Blind-links, nicht im Plan“ die Barriere zwischen Publikum und Bühne auf, indem er sich zwischen den frei im Raum stehenden Zuschauern bewegt. „Geld ist Gott, und Gott ist Geld“ ist seine provokante These, mit der er sich dem Geld „als dem Fremden“ nähert.

Andere Gäste setzen sich Grenzerfahrungen aus wie die österreichische Choreografin Milli Bitterli. Sie inszeniert Projekte an besonderen Orten, zum Beispiel einem Sterbehospiz, und lässt sich dabei filmen. In Mannheim bilden diese Aufnahmen die Kulisse für Bitterlis Auftritt. Ebenfalls um Grenzen und deren Aufhebung geht es der Künstlergruppe hoelb_hoeb., die sich dem Thema „Inklusion“ widmet. Anderssein interpretieren sie in ihrer Installation „training“ als jedwede körperlich Transformation oder Veränderung, die durch Behinderung, aber auch durch Demenz oder Transsexualität entstehen kann. An der bewegten Rauminstallation des Duos beteiligen sich Sehbehinderte und Blinde in der ehemaligen Mannheimer Stadtgalerie S4. Gespielt wird zum Beispiel Torball, ein Spiel, bei dem sich die Akteure an den Glöckchen orientieren, die an Fäden über dem Spielfeld gespannt sind.

Zakopane ist nicht nur ein bekannter Wintersportort in Polen, sondern auch der Titel einer Performance von Jost von Harleßem und Hanke Wilsmann, die sie mit Stanislaw Lems Roman „Solaris“ verbinden. Hintergrund: Lem hielt sich in Zakopane auf, als er 1961 das Science-Fiction-Meisterwerk schrieb. „Wir untersuchen den Text als philosophische Parabel über den Kontaktversuch des Menschen mit dem Fremden“, erklären die Künstler.

Reflektieren statt Konsumieren
Fremdsein, das Fremde in sich selbst oder der Umgebung wird bei „Wunder der Prärie“ aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. „Wir haben dieses Thema gewählt, weil wir der Auffassung sind, dass die Begegnung mit dem Unbekannten ein wichtiger Schritt für eine Entwicklung ist“, sagt Festivalkuratorin Gabriele Oßwald. Welche Kunstrichtung die Mitwirkenden letztlich repräsentieren, rücke dabei in den Hintergrund. Interessant sei vielmehr, wie die Künstler mit dem Thema umgingen.

Auf diese Weise entwickelt „Wunder der Prärie“ einen gesellschaftlichen Diskurs. Vorträge und regelmäßige Tischgespräche an den verschiedenen Spielstätten laden das Publikum und am Thema Interessierte außerdem zum Gedankenaustausch ein. Es ist ein wichtiger Teil des Festivalkonzepts, wie Gabriele Oßwald betont: „Es geht uns nicht nur darum, dass unsere Besucher sich Vorstellung A, B, oder C ansehen; sondern auch darum, dass sie die Möglichkeit nutzen, sich mit Themen und Künstlern zu beschäftigen.“Nicht der Konsum von Kunst steht im Vordergrund, auch wenn angesehene Performer bei zeitraumexit gastieren, sondern die Reflexion. Damit platziert sich „Wunder der Prärie“ in einem interessanten Spannungsfeld zwischen den philosophischen Ideen- und den Künstler-Festivals. Da soll noch jemanden fad sein!

Autor/in: Astrid Möslinger