Das Festival Wunder der Prärie in Mannheim bietet komplexe Fremderfahrungen

regioactive
24.09.2015

Die Wunder der Prärie sind wieder da und überziehen die ganze Stadt Mannheim mit kreativen Erfahrungen des Fremdseins. Zeit für einen Rundgang durch die Stadt und zur Begegnung mit ganz unterschiedlichen Ausdrucksformen.

Der Lederball fliegt, dopst auf und – klingelt. Ein Mann mit schwarzer Augenbinde und im Sporttrikot wirft sich auf den Boden, verpasst den Ball knapp. Ein Glöckchen an einer Schnur bimmelt. Tor! Das Publikum klatscht begeistert.

Eine besondere Art des Trainings
Zwischen blauen Turnmatten und Sprossenwänden, Fotografien und Gemälden, Schreibtisch und Regalen ist in S4, 17 (ehemals Stadtgalerie Mannheim) ein Training der besonderen Art zu sehen: Blindentorball heißt der Sport. Die Vorführung ist ein Teil von „training. Spielstätte für einen inklusiven Humanismus“ des Künstlerduos hoelb/hoeb.
Mit dieser vielteiligen und vielschichtigen, performativen Installation bereichert das vom Künstlerhaus zeitraumexit organisierte Performancekunst-Festival „Wunder der Prärie“ das kulturelle Leben der Stadt Mannheim. In diesem Jahr findet es zum neunten Mal statt. Bis 26. September sind an diversen Spielorten zehn künstlerische Positionen sowie Vorträge und Tischgespräche rund um das Thema „Fremd“ zu erleben.

Anderssein inklusiv denken
In einem Setting, das gewollt den Charme einer Turnhalle ausstrahlt, bringen Barbara Hölbling und Mario Höber in ihrer Installation „training“ die drei Bereiche Kunst, Wissenschaft und soziale Praxis zusammen. Ihr Ziel: ein „Anderssein“, das sich über den Körper ausdrückt, inklusiv denken. Rund um die Themen Behinderung, Demenz und Geschlechterzuschreibungen werfen die beiden Künstler aus Österreich Fragen auf.
Das geschieht zum Teil ganz real, haben sich doch eine Vielzahl von Experten an kleinen Arbeitstischen eingefunden, um sich den Fragen der Besucher zu stellen. Wie Sabrina Albiez vom Pflegezentrum St. Maria, die über den Umgang mit dementen Menschen erzählt. Und wie auch Grace Proch und Sören Landmann, die Mannheimer Beauftragten für Chancengleichheit für Menschen vielfältiger sexueller und gesellschaftlicher Identitäten.
Im Regal gegenüber stapeln sich neben Ratgebern und Flyern zu den Themen auch theoretische Artikel, beispielsweise die „Ordnung der Dinge“ von Michael Foucault. In den fünf eingebauten kleinen Räumen geht es derweil weniger theoretisch zu. Mal schwebt ein Krankenbett zu Vogelgezwitscher unter der Decke, mal kargt an einer Wand medizinisches Gerät – vielleicht zur künstlichen Beatmung? – wie ein Relief in den Raum.

Was heißt hier eigentlich fremd?
So weben hoelb/hoeb ein dichtes, komplexes Netz aus visuellen Anreizen, theoretischen Impulsen und tatsächlichem Austausch rund um die Frage des „Anderssein“, des Fremdseins innerhalb unserer Gesellschaft, im eigenen Körper.

Dabei beschränkt sich die Installation nicht auf den Raum der Kunst, sondern ragt hinein in den ganz alltäglichen Raum: Einige der Fachleute haben ihren Arbeitsplatz während der Festivaldauer in den Raum S4, 17 verlegt. Es werden Vorträge gehalten, z.B. zum Thema Wachkoma oder auch über die Astrophysik. Und im städtischen Raum finden sich Handtaschen, die kleine Botschaften für die Passanten erhalten und das Thema Demenz verbreiten – interaktive Spuren der Desorientierung.

Spiel mit neuen Formaten
Passender als mit „training. Spielstätten für einen inklusiven Humanismus“ hätte das Festival „Wunder der Prärie“ mit dem Thema „Fremd“ nicht eröffnet werden können, haben sich doch die zeitraumexit-Macher Gabriele Oßwald, Tilo Schwarz und Wolfgang Sautermeister das Spiel mit neuen Formaten auf die Fahne geschrieben. Spannend versprechen die Tischgespräche unter dem Titel „Aktives Fremdgehen bei Tisch“ zu werden, die Kulturjournalist Bernd Mand moderiert.
An die vier riesigen Tische, die an verschiedenen Orten der Stadt installiert wurden, hat der Kulturjournalist sich zu Themen wie „Das Fremde in mir“, „Vertrautheit“ oder „Inklusion“ Gäste eingeladen, wie den Regisseur Jan Schmitt, die Berliner Kulturwissenschaftlerin Martina Keil oder die Künstlerin Claudia Bosse. Wichtig sei ihm, so Mand, mit den Menschen vor Ort wirklich ins Gespräch zu kommen. Noch ein Begegnung mit dem Unbekannten.

Hier muss jeder alleine durch: „Zakopane“ von F. Wiesel im zeitraumexit
Platzangst sollte man vielleicht nicht haben. Und auch keine Scheu vor dem Ungewissen. Stufe für Stufe, die man hinauf geht, Richtung Eingang, steigt die Spannung. Nach Anmeldung und Einweisung wird man nun endlich hineingehen dürfen, in „Zakopane“.
Dabei handelt es sich nicht um den gleichnamigen Winterskiort in Polen, sondern um eine performative Installation von F. Wiesel, die in der großen Halle von zeitraumexit für die Dauer des Festivals „Wunder der Prärie“ (bis 26. September 2015) in Mannheim aufgebaut ist.

Wo liegt eigentlich Zakopane?
Das Thema des Performancekunst-Festivals lautet in diesem Jahr „Fremd“. Und so fühlt man sich tatsächlich auf dem Gang durch die Räume: fremd und ein wenig ausgeliefert an die „Stimme“, die einen – ganz allein – durch die Erfahrungsräume leitet.
„Solaris“, der berühmte Science-Fiction-Roman von Stanislaw Lem aus dem Jahr 1961 hat die Künstler Hanke Wilsmann und Jost von Harleßem , die unter dem Pseudonym „F. Wiesel“ zusammen agieren, angeregt zu einer Art künstlerischen Forschungsstation. „Solaris“ heißt ein Planet, auf den die Menschen bei ihrer Suche nach weiterem Leben im Weltall stoßen. Dieser ist von einem Ozean überzogen, von dem die Forscher vermuten, er sei ein intelligentes Wesen und der einer ganz eigenen Logik zu folgen scheint.

Was wird passieren?
In eine entsprechende Situation fühlt sich der Besucher von „Zakopane“ geworfen, der allein durch die Gänge und Räume wandelt. Immer wieder versucht man aus dem Vorgefundenen Sinn zu stiften.
Man stößt auf Kurioses und auf Banales, auf Mitschriften und Fotos, Apparaturen und Bildschirme, ohne zu wissen, ob von einem etwas Bestimmtes erwartet wird. Man fühlt sich tatsächlich wie in der Fremde. Und ein beklemmendes Gefühl macht sich breit: Man fühlt sich irgendwie beobachtet.

Jedem seine eigene Fremde
Tatsächlich hat der Besucher mehr Einfluss als er denken mag: Jede seiner Entscheidungen hat eine Handlung zur Folge, so dass jeder Besucher eine andere Performance erlebt. So findet sich jeder in seiner eigenen, selbst geschaffenen Fremde wieder. Die ist manchmal unheimlich, oft aber auch einfach witzig.

Tanja Binder