Befreit vom Körper

Die Rheinpfalz
25.09.2015

Die Tanzperformance "Ravemachine" mit Doris Uhlich und Michael Turinsky beim Festival "Wunder der Prärie" in Mannheim

Beim Mannheimer Festival „Wunder der Prärie“, das auf Experimentelles und Grenzüberschreitendes fokussiert ist, finden sich neben mancherlei Belanglosem immer wieder wahre Perlen. Eine solche ist „Ravemachine“ von Doris Uhlich und Michael Turinsky aus Wien. Sie zeigten ihre Normen und Erwartungen sprengende Produktion in deutscher Erstaufführung im Künstlerhaus Zeitraumexit.

Doris Uhlich ist Tänzerin, Choreografin und Tanzpädagogin. Michael Turinsky hat ein Philosophie-Studium absolviert. Er ist von Geburt an körperbehindert, sitzt im Rollstuhl – und arbeitet als Tänzer und Choreograf. Wie das funktioniert, macht die Produktion in eindrucksvoller Weise deutlich. Der Rollstuhl ist optisches Symbol einer „Ravemachine“: in ihm materialisiert sich der harte Beat der Technomusik.

Aber die eigentliche „Ravemachine“ – das ist das Neuartige – ist der behinderte Körper selbst. Er sprengt seine Einschränkungen und macht aus ihnen ein Tanzerlebnis eigener Art. Mit Inklusion, so wünschenswert diese allgemein ist, hat das nichts zu tun. Die aus der - offensichtlichen spastischen – Behinderung geborene Bewegung potenziert sich mit ungeheurer Wucht zu einer befreienden Körperlichkeit. Es beginnt, wie nahezu alle szenischen Experimente mit einem Rollstuhlfahrer, dass dieser in seinem Gefährt Kreise und Achter dreht, lange geräuschlos. Ein unmerkliches Summen schleicht sich ein. Es ist das reale Rollen der Ränder. Von Doris Uhlich gesampelt und kontinuierlich verstärkt, schwillt es zu gewaltigem Wummern an. Dem Behinderten fährt es in Arme und Oberkörper, die minimalistisch und heftig zu Schwingen beginnen. Er gleitet aus dem Stuhl, schwingt auf den Knien weiter. Spätestens wenn er sich auf dem Boden ausstreckt, werden die rhythmischen Zuckungen seines Körpers zu einem Tanz mit unglaublich starker Anmutung von Power und Energie. Dann steht er auf seinen Beinen, die ihm wie durch ein Wunder gehorchen. Ist es die Wucht und Gleichförmigkeit des Technobeat, die das bewirkt? Jedenfalls kann der Zuschauer am eigenen Leib spüren, wie auch er davon erfasst wird.

Doris Uhlich tritt hinzu, ruckt, zuckt und wippt im Gleichklang mit. Bei ihr sieht das jedoch ganz anders aus, irgendwie gewohnter und gewollt. Kein Naturereignis, das einen Körper überkommt, wie bei Michael Turinsky. Ihr Wippen des Beckens erinnert an Bauchtanz. Mit pinkfarbenen Plateau-Stiefeln versucht sie, Bewegung zu verfremden. Der Körperbehinderte malträtiert und demoliert einen mechanischen Rollstuhl, den er nicht mehr braucht. Weil sie auf technische Hilfsmittel hofft, setzt sich die Nichtbehinderte in den elektrischen Rollstuhl und schüttelt ihre Haare vors Gesicht. Sie erreicht damit aber keinen eigenen Ausdruck. Er hockt derweil, ganz bei sich, neben dem Computertisch.

Behutsam entwickelt sich ein Dialog der Körper, indem sie mit unterschiedlicher Anmutung annähernd gleiches tun. Da ist dann auf einmal das gewalttätig maschinenhafte weit weg. In anrührendem Austausch lehnt sich jeder beim anderen an.

Heike Marx