Gedankenspiele zwischen Paradeplatz und Schrebergarten

Die Rheinpfalz
09/26/2013

Truppenabzug, Stadtentwicklung, Kleingärten: Beim Festival "Wunder der Prärie" in Mannheim wird diesmal viel diskutiert

Beim Festival „Wunder der Prärie“, das noch bis Samstag andauert, sind Diskurs und Dialog wesentlicher Bestandteil einer Kunstform, die man als „Performance“ oder „Live Art“ bezeichnet. Diese bewegt sich an Schnittstellen von Kunstrichtungen wie Tanz, Theater, Installation und Video, sondern auch zur Wissenschaft. Die Diskursthemen beim Festival sind diesmal breit ausgefallen und eng auf Mannheim bezogen.

Wo bei früheren Festivals bizarre Gestalten und ausgefallene Aktionen im öffentlichen Raum Neugier erregten, wird diesmal mit wissenschaftlichem Ernst debattiert. Um Passanten anzulocken, wurde dafür vom Architektenkollektiv Raumlabor Berlin ein hölzerner Panzer gebaut, der eigentlich ein Pavillon für Gedankenaustausch mit Schmackes wie Swing und Kuchen ist.
Die Berliner haben schon einmal mit einem hölzernen U-Boot in Mannheim Furore gemacht, dessen Überfahrt nach Ludwigshafen Probleme bereitete. Auch der Panzer war wegen Schwierigkeiten mit Transport und TÜV nicht, wie vorgesehen, zur Festivaleröffnung vorgefahren und konnte erst verspätet seinen Standort auf dem Alten Messplatz einnehmen. Er setzt ein publikumswirksames, aber ambivalentes Zeichen. Denn emotional wird er wohl spontan anders interpretiert, als es hier gemeint ist. Er soll für deutschamerikanische Freundschaft, den Truppenabzug in Mannheim und die dadurch ausgelöste Konversionsdebatte stehen.
Diese besorgt der heimische Collini Social Club mit den Themen „Konversion & Kommerz“, „Hausbesetzer & Hausbesitzer“, „Auto oder Mobil“, „Open Data und Smart Citizens“, „Stadterfahrung zwischen Freiheit und Überwachung“. Im Fokus steht auch die Musik, die uns die Besatzer brachten (linksrheinisch brachten die Franzosen die neue bildendende Kunst), als das Heidelberger Cave der vielleicht berühmteste Jazz-Keller der Bonner Republik war. Und natürlich möchte die Kulturszene gerne die von der US-Armee geräumten Areale besetzen.
Wie das gehen könnte, dafür ist das Kunstzentrum Zeitraumexit, von dem das Festival veranstaltet wird, selbst ein Beispiel.Gegenüber dem Zentrum in der Hafenstraße werden die alten Gebäude abgerissen. In der Galerie Stoffwechsel nebenan präsentiert der Mannheimer Fotograf Stefan Römer noch existierende „Fassaden der systematischenVerelendung“ des einstigen Hafen- und Rotlichtviertels: 31 Farbfotografien von bröckelndem Putz, geschlossenen Fenstern, nüchternen, neuen Einfahrten, der Baustelle unter der Hochstraße und quicklebendigen Einwohnern als lockeren „Fotoessay“ auf umlaufendem grauem Farbband.
Auch die AG AST ist in Mannheim ansässig; sie wurde 1911 für „Wunder der Prärie“ von dem Saarbrücker Professor für Bildhauerei und Medienkunst Georg Winter gegründet. Mit ihr radelt man in die Feudenheimer Au, um sich mit Kleingärten und Bundesgartenschau auseinanderzusetzen. Freie Radikale, das Netzwerk von Theater Felina-Areal, Theaterhaus TiG7 und Zeitraumexit, präsentierte seinen ersten „Radikaldialog“. Zeitraumexit- Diskurse wollen aktuelle, ortsbezogene Themen erlebbar machen.
Auf dem Paradeplatz gab es eine literarische Entdeckung. „Das Stück“ von Melanie Mohren und Bernhardt Herbordt ist ohne echte Handlung und Personen an einen Konsens stiftenden Ort gebunden und generiert daraus das Entstehen einer Institution. Thematisiert werden atmosphärische Zustände, das Vergehen von Zeit und die Austauschbarkeit von Wirklichkeit und Vorstellung. Ab Oktober soll „Das Stück“ in Berlin, Stuttgart und Frankfurt zur Aufführung kommen. Die angemessenere Form ist wohl ein bereits vorliegendes typographisch gestaltetes Buch, die Idealform ein Hörstück, das man als Einzelner in der Menge über Kopfhörer erleben konnte.
Ricarda Franzen und Robert Schoen verknüpfen in ihrem Projekt „Soziale Bausätze“ klassische Hörspiele mit Lego-Bauen. Im Selbstversuch geht das so: Mauricio Kagels Hörspiel „Tribun“ ist noch frei. Mit der Lego-Box geht es an den Tisch, und man taucht ein in die Ironie der unvergleichlich treffenden Volksverhetzer-Rhetorik. Was für ein Raum kann das sein? Jedenfalls mit einem riesenhohen Podest und einer Menge beifallklatschender Winzlinge. Die verflixte Box enthält zu wenige passende Bausteine, da heißt es improvisieren. Es ist ein einsames Sozialerlebnis. Wer es geselliger mag, kann sich am Freitag mit Invisible Playground und einem Spielerteam auf Games Tour begeben.
Von Heike Marx